DIE WICHTIGSTEN URTEILE IM ARBEITSRECHT DES BUNDESARBEITSGERICHTS IN 2023

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit um sich einige der Kernentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in 2023 anzusehen. Gerade für die tägliche Personalpraxis sind diese für Arbeitnehmer und Arbeitgeber von hoher Bedeutung.

SMS / WhatsApp Nachricht vom Chef: Bloß nicht ignorieren! Auch nicht, wenn Sie diese in Ihrer Freizeit erhalten

Ein Arbeitnehmer kann auch in seiner Freizeit verpflichtet sein, eine SMS des Arbeitgebers (gilt sicherlich auch für WhatsApp Nachrichten) zur Kenntnis zu nehmen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund betrieblicher Regelungen bekannt ist, dass der Arbeitgeber auf diese Weise die Arbeitsleistung für den Folgetag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird. Insbesondere, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hingewiesen hatte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. August 2023, Az. 5 AZR 349/22

 

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Arbeitnehmer tragen die Beweislast, dass es keine Fortsetzungserkrankung ist

Wird ein Arbeitnehmer infolge Krankheit erneut oder mehrfach arbeitsunfähig, hat er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit nur dann einen, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate lang nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist. Arbeitnehmende müssen im Falle eines Streits über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung offenlegen, welche Beschwerden welche Folgen für die Arbeitsfähigkeit hatten und sind zudem verpflichtet, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Bei Unterbrechungen der Krankheit und zwischenzeitlicher Arbeitsfähigkeit werden die einzelnen Krankheitstage zusammengezählt. Ist der Mitarbeiter also wegen derselben Erkrankung z.B. im Januar 4 Wochen erkrankt und dann erst wieder im Juli mehr als 2 Wochen, dann erlischt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2023, Az. 5 AZR 93/22

 

Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist hoch

Legt ein gekündigter Arbeitnehmer eine Krankschreibung vor, die genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses reicht, mag dies verdächtig vorkommen. Einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt jedoch ein hoher Beweiswert zu. Um diesen Beweis zu erschüttern, muss ein Arbeitgeber konkrete Umstände darlegen, die geeignet sind, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu begründen. Der bloße Verdacht einer nicht ordnungsgemäßen Diagnose oder der Arzt habe ein Gefälligkeitsattest ausgestellt, langt nicht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Juni 2023, Az. 5 AZR 335/22

 

Teilzeitbeschäftigten steht bei gleicher Tätigkeit derselbe Lohn zu.

Ein Mitarbeiter, der auf geringfügiger Basis beschäftigt ist, muss bei gleicher Tätigkeit auch gleich wie seine in Vollzeit- oder Teilzeit beschäftigten Kolleginnen und Kollegen bezahlt werden. Abweichende Stundenvergütungen sind nicht zulässig (Äqual Treatment and äqual Pays in Temporär Employiert). Die Gründe des Arbeitgebers für die Ungleichbehandlung bei der Bezahlung (größere Planungssicherheit und weniger Planungsaufwand bei den Vollzeit- oder in Teilzeit beschäftigten Kolleginnen und Kollegen) ließ das höchste Arbeitsgericht Deutschlands nicht gelten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2023, Az. 5 AZR 108/22

 

Urlaubsabgeltung unterliegt der üblichen Verjährung

Wird gesetzlicher Urlaub, auch über mehrere Jahre hinweg, nicht genommen wurde, darf dieser ohne vorherigen Hinweis des Arbeitgebers nicht verfallen und kann auch nicht einfach verjähren. Doch was ist mit den Urlaubsabgeltungsansprüchen? Diese verjähren gemäß § 195 BGB nach drei Jahren. Auch ohne Hinweis des Arbeitgebers beginnt die Frist in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der oder die Beschäftigte das Unternehmen verlässt, entschied das BAG. Ausnahmen gelten nur für frühere Ansprüche vor der Änderung der Rechtsprechung zum Urlaubsverfall (6. November 2018 neue Regeln, Europäischer Gerichtshof, Aktenzeichen: C-684/16). Viele Arbeitnehmer möchten sich ihren Urlaub auszahlen lassen, anstelle diesen zu nehmen. Wenn der Arbeitsgeber dieses verweigert besteht im laufenden Arbeitsverhältnis KEIN Anspruch, sondern gegebenenfalls erst, wenn man das Unternehmen verlässt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Januar 2023, Az. 9 AZR 456/20

 

Gleicher Lohn für Männern und Frauen ist keine Verhandlungssache

Für gleiche oder gleichwertige Arbeit hat eine Frau Anspruch auf gleiches Entgelt!!! Dass es einem Kollegen gelungen ist, in den Gehaltsverhandlungen ein höheres Gehalt auszuhandeln, ändert daran nichts. Eine Entgeltbenachteiligung einer Frau aufgrund des Geschlechts wird vermutet, wenn sie beweisen kann, dass ihr trotz gleichwertiger Arbeit ein niedrigeres Entgelt gezahlt wird, als einem vergleichbaren männlichen Kollegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2023, Az. 8 AZR 450/21

 

Die Diskriminierung schwerbehinderter Bewerber im Bewerbungsverfahren begründen einen Schadensersatz

Arbeitgebern drohen Entschädigungszahlungen, wenn sie Vorschriften, die dem Schutz von Schwerbehinderten dienen, ignorieren. Dafür kann es bereits ausreichen, dass ein abgelehnter Bewerber behauptet, der Arbeitgeber habe den Betriebsrat nicht den Vorgaben des § 164 Sozialgesetzbuch SGB IX (Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können) entsprechend über die Bewerbung unterrichtet. Da ein Bewerber als Außenstehender hierzu regelmäßig keinen Einblick hat und sich diesen auch zumutbar nicht verschaffen kann, muss er regelmäßig keine konkreten Anhaltspunkte für ein solches Versäumnis darlegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. Juni 2023, Az. 8 AZR 136/22

 

Kein Verwertungsverbot für Videoaufzeichnungen aus offener Überwachung

Aufzeichnungen einer offenen Videoüberwachung dürfen im Kündigungsschutzprozess herangezogen werden, um vorsätzliches Fehlverhalten von Beschäftigten zu beweisen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht. Es besteht kein Beweisverwertungsverbot. Auf dieser Grundlage hatte das BAG bereits anerkannt, dass die Verwertung eines „Zufallsfunds“ aus einer gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung zulässig sein kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2023, Az. 2 AZR 296/22

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